Aus dem FF
Focusing meint etwas ganz Natürliches: nämlich Zeit mit dem zu verbringen, wie es uns geht. Das besondere dabei ist die Art und Weise, wie wir uns zuwenden. Statt stundenlang über ein Thema, Problem oder Frage rein kognitiv zu grübeln oder zu reden was eh schon bekannt und klar ist, gehen wir beim Focusing schnell zu dem, was noch unklar ist. Dabei bemerken wir all die Zwischentöne und feinen Nuancen, die da alle implizit noch alles mit dran hängen und noch nicht so genau benennbar sind. Durch dieses Dabei-Sein, das sich Selbst Besuchen und sich die eigene Aufmerksamkeit schenken, entstehen frische, neue Schritte. Während des ganzen Prozesses achten wir darauf, dass es uns gut dabei geht. Das bewirkt im Ergebnis, dass es sich so leicht und natürlich anfühlt – selbst bei innerer Schwerstarbeit! Am Focusing finde ich das Erstaunliche die positive Veränderung, die Klarheit sowie das Erleichterungs- und Wellnessgefühl. Focusing kalibriert mich auf meine eigene Mitte, aus der heraus Leben sich einfach richtig richtig gut anfühlt und Freude macht.
Der Begründer von Focusing ist Eugene Gendlin (1926-2017), der unter anderem auch aus seiner Zusammenarbeit mit Carl Rogers (1902-1987) auf dessen wesentliche Elemente und Haltung von Akzeptanz, Echtheit und Empathie der humanistischen Psychologie aufbaut.
„Ich nenne Focusing die kleine Zeit, ein paar Sekunden oder ein paar Minuten, in der man mit etwas ist, das nicht klar ist, aber sicher mit etwas im Leben zu tun hat. Man spürt es körperlich, aber man weiß noch nicht was es ist, man hat noch keine Worte dafür.“ (Gene Gendlin)“Manchmal braucht es mehr als Reden – nämlich einfach damit sein
Was wir wahrnehmen, ist nicht unabhängig davon, was wir erleben. Die Qualität, wie ich auf etwas zugehe, bestimmt mit, was ich dann antreffe. Wie in der Physik: der Beobachter beeinflusst das Beobachtete. Zwar ist die schlechte Nachricht, dass ich das, was ich erlebe, nicht direkt ändern kann. Das macht aber nichts, denn die gute Nachricht dabei ist: Ich kann ändern, wie ich mit dem, was ich erlebe, in Beziehung trete. Und wenn ich das ändere, ändert sich automatisch auch das, was ich erlebe. Diese Erkenntnis ist sehr einfach und grundlegend zugleich. So werden wir von dem/der Regisseur:in unseres Erlebens zur/zum Regisseur:in, Gestalter:in und Macher:in unseres Lebens.
Das bedeutet: Ich habe es mit in der Hand, mit in meiner Verantwortung, welche Gefühle, Gedanken, Phantasien und Körperempfinden ich habe. Focusing ist ein Weg, Eigenverantwortung auf angenehme Weise zu übernehmen und trägt zu einer Aufwärtsspirale an persönlicher Erfüllung und Zufriedenheit bei. Wir lernen immer besser, unser Selbst konstruktiv wahrzunehmen. Auch bei Situationen, in denen wir uns wie Opfer oder überwältigt fühlen, hilft Focusing dabei, wieder eigenständig das Ruder in die Hand zu nehmen und fördert so eine gesunde Selbststärkung.
„To hell with it – Zur Hölle damit“ soll Eugene Gendlin über sein eigenes 6-Schritte Modell gesagt haben, welches er rein für didaktische Zwecke als Beschreibungshilfsmittel veröffentlicht hat.
Solltest Du schonmal etwas zu Focusing gelesen haben, könnte es sein dass Dir vielleicht bestimmte Schritte über den Weg gekommen sind, oder? Gendlin hat diese als Modell herausgearbeitet, um eine Anleitung seines Focusing-Prozesses zu vermitteln. Daher sind diese Schritte nicht falsch, sie stimmen auch und sind gleichzeitig einengend und wären als mechanistische Reduktion falsch. Eine Focusing-Begleitung ist immer ganz organisch in dem Sinne, dass die Aufmerksamkeit der begleiteten Person den Weg bestimmt. Sicherlich wären im Nachhinein einer Begleitung Elemente der 6 Schritte zuordenbar. Auch in meiner Begleitung ist jedoch an keiner Stelle die Rede von Schritten oder der Eindruck irgendeines festgesetzten Ablaufplanes, dem wir zwanghaft folgen würden. Daher möchte ich hier auf die Schritte nur im Sinne einer kurzen Übersicht für ein Kennenlernen von Begriffen eingehen und versuchen anzudeuten, worum es bei der Qualität von Focusing geht. Gleich vorab: über all das brauchst Du Dir überhaupt keine Gedanken machen. Für das wie der Begleitung bin nämlich ich da, während Du Dein was, Deinen Inhalt, bestimmst. So gestalten wir gemeinsam einen wunderbaren Focsingprozess.
1. Freiraum schaffen
Unserem Erleben geben wir einen für uns stimmigen Platz und stellen so einen Abstand her, der nicht zu nahe, aber auch nicht zu weit weg, sondern eben genau richtig ist. Dadurch können wir Bezug nehmen auf das, was da ist. Beim Focusing greifen wir nur kurz auf, was eh schon klar und bekannt ist. Wir wenden uns ziemlich direkt dem noch Unklaren, dem Unsagbaren, dem Diffusem, dem sogenannten Felt Sense zu.
2. Einen Felt Sense entstehen lassen
„Felt Sense“ ist ein Kunstwort und meint das, was noch keine Worte hat. Der Felt Sense geht über das, was schon klar ist, hinaus und beinhaltet alle Zwischentöne und Zwischenräume, die noch nicht deutlich sind. Von hier aus können wirklich frische, neue Schritte kommen. Ein Felt Sense muss sich meistens erst bilden, formen und entstehen. Daher halten wir reichlich inne und verweilen einfach bei dem was da und noch nicht ganz da ist. Auch hier gilt, immer so viel wie für Dich stimmt und was für Dich passt.
Auf ein im Alltag übliches „Wie gehts Dir?“ ist aus dem Stand heraus meistens gar nicht so schnell alles sagbar. Und doch gibt es da vielleicht etwas, das Du schon allein bei der Frage bemerkst. Dieses Bemerken bauen wir im Focusing aus, indem Du bei Dir selbst verweilst und dem, was da ist, in liebevoller Präsenz Deine ganze Aufmerksamkeit schenkst.
3. Den Felt Sense beschreiben (einen Griff finden)
Bei der Beschreibung des Felt Sense empfangen wir ganz offen auf allen Kanälen unserer Wahrnehmung Gefühle, Gedanken, Bilder und Körperempfinden. Das Verbalisieren steht dabei nicht im Vordergrund, sondern das Erleben, dessen was da ist.
4. Die Beschreibung mit dem Felt Sense vergleichen
Während Du mit Deiner Aufmerksamkeit bei Deinem Felt Sense, dem was noch keine Worte hat, bleibst, vergleichst Du gefundene Griffe – Gefühle, Bilder, Gedanken, Körperempfinden – auf Stimmigkeit. Mit jeder Präzisierung, bei der Du eine innerliche Qualität von „ahja genau“ bemerkst, kann sich Dein Felt Sense weiterentwickeln und Dir wieder etwas Neues mitteilen.
5. Fragen stellen
Aus dem Kontakt mit dem tiefen Inneren heraus können wir nun gezielt Fragen stellen und frische Antworten entstehen lassen, die vorher noch nicht da waren. Das Besondere an diesen Antworten ist, das sie all das Ganze, das mit dem Thema verbunden ist, bereits mit einbeziehen und beinhalten. Dadurch sind sie sehr klar und lebendig.
6. Annehmen und Schützen
Am Ende zeigen wir uns dankbar und freundlich gegenüber allem, was sich gezeigt oder eben auch noch nicht gezeigt hat. Das Erlebte lassen wir so stehen und nachwirken.
„Never do Focusing if the relationship is off“ (Gene Gendlin)
Gemeint ist damit, dass auch der Kontakt zwischen der fokussierenden Person und der begleitenden Person relevant ist. Zuerst möchten wir uns wohl miteinander fühlen. Daher braucht es am Anfang etwas Zeit, und zwar grundsätzlich beim erstmaligen Kennenlernen sowie dann auch vor jeder Begleitung. Wir achten darauf, was wir brauchen, um in einem schönen Miteinander anzukommen. Mit der Zeit entwickelt sich ein Gespür füreinander und Vertrauen baut sich auf. Daher wird die Begleitung mit jedem Mal stabiler, sicherer und auch intensiver. Wann immer die fokussierende Person irgendeine Irritation oder Unwohlsein in Bezug auf die sie begleitende Person bekommen sollte, ist es wichtig, dem Aufmerksamkeit zu schenken. Ohne Beziehungsraum gibt es kein Focusing und erst ein intakter Bezug macht Focusing möglich. Focusing geschieht immer innerhalb eines aufrichtigen Interaktionsraumes.
Bin ich mit ein paar Focusing Sitzungen dann eigentlich für immer erleuchtet und habe alle Lösungen der Welt, oder?
Hier gebe ich Dir zwei Versprechen:
1. Im Leben kommen immer Themen, Fragen oder Herausforderungen
2. Mit Focusing änderst Du die Qualität, von dem was kommt, und wie Du damit umgehst
Was vorher vielleich sogar schnell existenziell – bedrohlich wurde, dem kannst Du mehr in einem neugierigen, offenen Zugang Deine Aufmerksamkeit schenken. Situationen ändern sich immer. Focusing schult eine lebensfördernde Einstellung dazu, die wiederum das Erleben von Situationen ändert. Du wirst mehr Dein:e eigene:r Meister:in :)
Gleichzeitig bestätigt meine Erfahrung, dass bereits wenige Focusing-Sitzungen fundamentale Einstellungen mindestens ein wenig „verschieben“ können – und zwar nicht mit Zwang in dem Sinne, dass irgendwas wo hin müsste, sondern weil das Leben selbst nach dem stimmigeren Platz strebt und nun Bewegungsraum freigesetzt ist.
Gene Gendlin hat als Grundgerüst für Focusing ausdrücklich alle willkommen geheißen, Focusing weiterzuentwickeln und mitzugestalten. Dies liegt ganz im Sinne der zugrunde liegenden Philosophie, das Leben als lebendigen Prozess anzuerkennen. Insofern gibt es nicht das eine Focusing, sondern vielmehr eine ganze Palette an individuellen Färbungen und Nuancen.
Trotz wissenschaftlich nachgewiesener Effektivität ist eine Focusingbegleitung von Krankenkassen weder als Therapie noch als gesundheitliche Vorsorge anerkannt. Im Gegensatz zur Abrechnung von geschützten Psychotherapeuten mit definiertem Studium und Ausbildung sind Anamnese und Diagnosen beim Focusing nicht nur gar nicht erst erforderlich, sondern sie stehen einer tatsächlichen Weiterentwicklung im Focusing-Sinne potentiell sogar eher im Wege. Für mich habe ich entschieden, dass ich mich für alle Bereiche auch in der Psychologie interessiere und Wissen als Anregungen daraus ziehe. Von Diagnosen, Urteilen und Schubladen möchte ich mich so weit wie mir das eben bestmöglichst gelingt, fernhalten. Insofern habe ich mit Focusing mein Zuhause gefunden, da ich mich ganz auf meine Leidenschaft konzentrieren kann, mit empathischer Präsenz für mein Gegenüber da zu sein. Fazit: Focusing darf Jede:r. Vielleicht haben andere Begleitende etwas, das ich nicht habe, und vielleicht habe ich etwas, das sie nicht haben? Eine Essenz, die mir durch Focusing klar wurde, ist, wie einzigartig Jede:r von uns ist. So entsteht in allen Begegnungen etwas völlig neues und eigenes.
Wofür „mein“ Focusing ist und worin ich „mein“ Wirkfeld sehe, finde ich spannende Fragen, die ich bereits jetzt im Ansatz darstellen kannund zugleich selbst noch am entwickeln bin. Was mich begeistert ist, Verbindung zu schaffen – in einem Menschen mit sich, zwischen einzelnen Menschen oder auch zwischen Gruppen. Ich stelle mir vor, wie Diskussionen und Auseinandersetzungen sowohl in der Politik als auch Privat aussehen könnten, wenn wir eigenverantwortlich hinter das schauen können, was uns tatsächlich beschäftigt. Focusing schafft eine entspannte Position zu Themen und somit eigenreflektierte Lösungen, die eine neue Qualität für ein gemeinsames Verhandeln im miteinander setzen.
„Usually we don‘t work so hard on why we‘re so happy“ (Gene Gendlin)
Das Gute an Focusing ist: es gibt bisher keine Kontraindikationen dafür, wann oder für wen Focusing ungeeignet sein sollte! Es ist vielmehr so, dass sich für Jede:n Focusing ganz individuell gestaltet, und es darum geht herauszufinden, wie genau.
Ganz hervorragend eignet sich Focusing dafür, die eigene Wahrnehmung zu trainieren. Diese ist letztlich Basis für die Ausbildung und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Focusing unterstützt Dich darin, dass Deine Quelle von Kreativität, Lebensfreude, Energie und Leichtigkeit fließt.
Focusing hilft Dir dabei:
- Dich so anzunehmen wie Du bist und Deine Selbstachtung und Dein Selbstbewusstsein zu fördern
- stimmigen Ziele zu setzen und den Weg, diese zu erreichen zu genießen
- Dich gut zu spüren, tief mit Dir Selbst in Kontakt zu sein
- Deine Herausforderungen mit Gelassenheit und Leichtigkeit zu meistern
- eigene Kompetenzen privat wie beruflich zu steigern
- Schwächen zu reflektieren und bewusster für Dich zu sorgen
- Stimmige Entscheidungen zu treffen
- Kreative nächste Schritte zu finden
Da Focusing im Zusammenhang von Psychotherapie entwickelt wurde, hilft es Dir ganz in seiner Natur bei allen therapeutischen Anliegen wie zum Beispiel bei:
- Klären aktueller Probleme, Konflikte oder offener persönlicher Fragen
- zwischenmenschliche Beziehungen klären und vertiefen
- Auflösen von Blockaden und festgefahrenen Lebenssituationen
- Innerliche Zusammenhänge bei körperlichen Reaktionen oder körperliche Beschwerden erkennen
- Kontrolle über überwältigende Gefühle
- Selbstkritik und Perfektionismus verwandeln
- Entspannung eigener unverhältnismäßigen Reaktionen
Da Focusing ein ganz natürliches inneres beiwohnen meint, würde ich behaupten: jede:r macht regelmäßig Focusing, ganz ohne Focusing überhaupt zu kennen. Erinnerst Du Dich an Momente, in denen „was klick gemacht hat“, von denen Du vielleicht nicht unbedingt benennen kannst, was da eigentlich passiert ist, aber du deutlich merkst das sich da was verändert hat? Voila, ein hervorragendes Focusing!
Das an Gendlin anknüpfende Focusing als geschützter und ganz bewusster Prozess findet vielfache Verwendung
- zahlreiche psychosoziale Berufe
- Beratung, Coaching, Psychotherapie und Supervision
- im kreativen und künstlerischen Bereich